Das hier ist für immer

von Georg Kasch

April 2014. Das Meer eignet sich als Metapher für so ziemlich alles, aber besonders für die Sehnsucht nach der Ferne, nach Verwandlung, Veränderung: mit seiner Weite, seiner Brise, seiner andauernden Umwälzung. Auch Marianna Salzmann hat das Meer zum zentralen Sehnsuchtsort ihrer Protagonisten erkoren: "Ich finde, wir sind gerade eine gute Idee. Vielleicht die beste, die das Universum je hatte", beteuern sich Feli und Pep in "Schwimmen lernen", als sie einander heiraten und sich doch erst fünf Wochen kennen. Da erscheinen Feli sogar die spießigen Niederungen des Alltags als Abenteuer, und Pep zeigt stolz seinen beringten Finger herum. Aber dann trifft Feli Lil, verliebt sich in sie, zieht ihr hinterher ans Schwarze Meer. Natürlich geht das schief – am Ende sitzt Lil allein am Wasser, an das Feli immer wollte.

Also projiziert Regisseur Hakan Savaş Mican für Momente Wellen an die Rückwand des STUDIO Я, der kleinen Bühne des Berliner Gorki Theaters. Sie glitzern und wogen, als Feli und Lil zum ersten Mal miteinander sprechen – schließlich sucht Feli in Lil das, was das Meer repräsentiert, obwohl sie gegenüber Pep betont, wie sehr sie all das wolle, was man mit Enge und Beschränktheit umschreiben könnte, "die Kuchensonntage mit Alkohol mit Schwiegervater und mit dir und deinen Geschwistern über Autos reden. Ich will das. Diesen ganzen Schrott."

Große Gefühle wagen

Salzmann hat in ihrem Text viele Sprachspuren ausgelegt, die andeuten, dass die Beziehungen scheitern werden – viel zu groß sind die rhetorischen Gesten, wenn die Protagonisten Sachen sagen wie "Das hier ist für immer, ich weiß das" und "Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich bleiben will bei jemandem". Auf der schmalen Bühne, die sich links und rechts in Spiegelwänden unendlich fortsetzt und auf der nur ein Klavier, zwei Gitarren, Hocker und Mikrofone stehen, als warteten sie auf ein Indie-Pop-Konzert, kontert Mican mit einer entspannten Probenatmosphäre, die er regelmäßig in die Gefühlsextreme treibt, ohne je das Maß zu verlieren. Oft wirken die Figuren und ihre Schauspieler enorm privat, große Kinder mit reinen Herzen, die einen trotz ihrer pubertären Unbedingtheit enorm berühren. In Deutschland, so Micans Eindruck, hätten die Theatermacher eine Heidenangst vor Gefühlen, verschanzten sich hinter Ironie und Zynismus. "Warum darf ich nicht im Theater weinen?", fragt er. "Wütend sein? All die menschlichen Gefühle spüren?"

MaximGorkiTheater schwimmen lernen1 700 Thomas Aurin Intensiv-Liebestäter: Marina Frenk und Anastasia Gubareva © Thomas Aurin

 

Sein Credo: "Ich arbeite nicht mit Schauspielern, sondern mit Menschen." Letztlich seien sie weniger Schauspieler als Schaufühler – je stärker sie ihrer Rolle nachspürten, desto stärker wirke eine Inszenierung. In "Schwimmen lernen" findet er dafür ein gutes Beispiel: "Den Charme dieses Abends, seine Leichtigkeit, kann man nicht zwingend erspielen. Das hat viel damit zu tun, wie die Schauspieler als Menschen sind. Es ist für uns alle natürlich trotzdem eine harte Arbeit, diese Stimmung, dieses Gefühl zu finden."

Musik machen, Theater spielen

Dabei hilft Live-Musik enorm. Die Schauspieler sind zugleich (begnadete) Musiker: Unprätentiös treten sie zu Beginn auf und an ihre Instrumente. Schaad singt zur Gitarre auf Russisch, Frenk stimmt am Klavier ein, Gubareva stemmt den Text gesprochen auf Deutsch drüber, verstärkt so die pathosgeladene Lied-Botschaft.

So steht das noch nicht in Salzmanns Fassung, die im März 2013 am Theater Heidelberg uraufgeführt wurde. Da hatte Paul-Georg Dittrich den Text ziemlich wild inszeniert zwischen kreischendem Kindergeburtstag und Pinkstiftorgien auf Plexiglas. Grell sind die Schlaglichter, die Dietrich auf die jungen Erwachsenen wirft. Wie zum Spielen, Planschen, Manschen gemacht die Gerüstbühne mit mehreren Ebenen im White Cube aus Plastikfolie. Obwohl die Schauspieler Karen Dahmen, Karolina Horster und Benedikt Crisand erstaunliches leisten, wenn sie durch die Chronologie hoppen und in die Nebenrollen springen, bleibt der Eindruck eines Zuviel. Zuviel Video, Musik (vom Band), Bewegung, Perücken. Zuviel auch des Naheliegenden (wie Taucherbrille und –flossen, als es um das Meer geht).

Das entwickelt zwar durchaus seinen eigenen Reiz, vor allem in den stillen Momenten, etwa wenn das Live-Video die räumlich Fernen liebevoll zusammendenkt oder den beiden Frauen ihr Zusammensein verbal zerbröckelt, während sie auf eine Projektion sitzen, die sie beim Unterwasserkuss zeigt. Aber sobald Tempo und Lautstärke anziehen, deckt das Bühnengeschehen die zärtlichen Qualitäten des Texts zu, der ja eher mit sprachlichen Zwischentönen punktet als mit einer besonders originellen Handlung.

Ego-Schau versus Seelenspiegel

In der Berliner Stückversion, die Mican zusammen mit seiner Dramaturgin Irina Szodruch erstellt hat, wird mit der Live-Musik aus "Schwimmen lernen" ein "Lovesong“, wie es im Untertitel heißt: die eigens geschriebenen Songs vom Münchner Multiintrumentalisten und Sänger Enik (alias Dominik Schäfer), die russischen Lieder, die die Schauspieler auswählten oder selbst komponierten, alle trunken von melancholischer Leichtigkeit und freundlicher Schwere. Außerdem sind die Szenen chronologisiert: Wo Salzmann in ihrer Ur-Fassung vor- und zurückspringt, entsteht nun eine ziemlich lineare Geschichte, kommentiert und erzählt von den Figuren aus einer Grundsituation des Spielens, die eine gemeinsame Bandprobe sein kann, eine Art Selbsttherapie, aber auch das Jenseits.

Es erstaunt ein wenig, wenn Mican von sich behauptet, Musik zu lieben, aber kein musikalischer Mensch zu sein. Mit welcher Raffinesse er zum Beispiel mit Rhythmus und Pausen arbeitet, spricht für sich. Wenn Pep, noch im Liebestaumel, zu Feli sagt: "Du musst nicht mehr arbeiten", dann ist das so eine Zäsur, dass die Musik abrupt verstummt und Feli Pep derart befremdet anschaut, dass er sofort einlenkt: "Wenn du nicht willst...“ Und wenn Pep wenig später versucht, dass bröckelnde Glück zu beschwören, dann haut Frenk derart romantisch in die Klaviertasten, dass es als Peps Seelenspiegel ebenso funktioniert wie als Lockruf an Feli.

Migrantisch auf den zweiten Blick

Mican wurde 1978 in Berlin als Kind türkischer Migranten geboren, wuchs allerdings in der Türkei auf, studierte, zurück in Berlin, erst Architektur, dann Filmregie. Zum Theater kam er über Shermin Langhoff, die an ihrem Ballhaus Naunynstraße bewusst Theater-Quereinsteigern eine Chance gab. Dort inszenierte er mit "Beg Your Pardon“ zum ersten Mal einen Text von Marianna Salzmann – und damit das erste Stück überhaupt, das nicht von ihm selbst stammt. Als Dramatiker schuf er Stücke wie "Die Schwäne vom Schlachthof“ und "Die Saison der Krabben“, aber auch "Warten auf Adam Spielmann“, das von Michael Ronen uraufgeführt wurde. Dabei machte er eine paradoxe Erfahrung: Während er bei Fremdtexten das Gefühl schätzt, mit der Vorlage frei umgehen zu können, sieht er die eigenen dramatischen Entwürfe am liebsten eins zu eins umgesetzt.

Im Herbst 2013 folgte Mican Langhoff ans Gorki Theater – "Schwimmen lernen“ war seine Einstandsinszenierung, mit der er in diesem Jahr auch zum Regiefestival "Radikal jung“ nach München eingeladen ist. Migrantisch und politisch lässt sich "Schwimmen lernen“ erst auf den zweiten Blick lesen – das gilt fürs Stück wie für die Inszenierung. Die Konstellation ist ja ziemlich privat: Ein deutsches Paar findet sich, trennt sich dann, weil die Frau sich in eine andere Frau verliebt, der sie in die Heimat folgt, ans Schwarze Meer, wahrscheinlich also Russland. Sowohl die Autorin als auch alle drei Schauspieler wurden in der ehemaligen Sowjetunion geboren, Russisch ist ihre Muttersprache.

Atmosphärisch aufgeladen

Mican nutzt das für eindrückliche Szenen, wenn er die Schauspieler zwischen den Sprachen wechseln oder einander übersetzen lässt, etwa im (fiktiven) Gespräch zwischen Feli und Lils Mutter. Schon in Deutschland ist die Atmosphäre erdrückend, als Feli der Familie erklärt, dass sie mit einer Frau nach Russland geht. Da verschränken sich Schaad und Frenk ineinander, stopfen sich die Münder mit Kuchen voll und schwadronieren mampfend, eine Hydra der geschwätzigen Außenwelt, ein Zerberus vor dem Tor des Glücks.

In Russland wird’s nicht besser: "Damit kannst du niemanden schocken“, so reagieren diesmal Gubareva und Schaad als russische Freundinnen unisono mit verlogenem Grinsen. "Du musst das niemandem aufbinden hier." Um dann in geifernde Brülltiraden auszubrechen, sich später ebenso ineinander zu verknäulen wie die deutsche Familie. Wer hier (wie bei Frenks Putin-Tattoo) an Russlands umstrittenes Gesetz gegen "Homo-Propaganda" denkt, das derzeit eine brutale Homophobie im Land aufflackern lässt, liegt vermutlich nicht ganz verkehrt. Es ist der düstere Generalbass zu einer Geschichte, die schwere Gefühle auffährt, leicht erzählt.

 

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