Drum sei nur froh, verschwitztes Kind

von André Mumot

Heidelberg, 2. Mai 2014. Wenn diese Lehrerin die Arme ihres stark behaarten Urmenschenkörpers hebt, kann sie prima Feinde verscheuchen mit ihren erstklassigen Buttersäureausdünstungen. Zurück in den Wald, das ist ihr Motto, zurück zur Natur, dann aber auch richtig. Also verbietet sie ihrem kleinen Sohn eindringlich, sich zu waschen: "Seife musst du meiden", flötet sie und setzt im beschwingten Versmaß hinzu: "Drum sei nur froh, verschwitztes Kind!"

Genüsslich sprachverjuxte Unsinns-Moritat

Aber wie es so geht im Leben, der Nachwuchs findet das gar nicht lustig,  sehnt sich schwärmerisch nach autoritären Schlägen und vermutet in jedem Mann, der ihm über den Weg läuft, seinen unbekannten Erzeuger. Außerdem hegt der kleine Lukas, schon aus Protest, innigen Naturhass. Deshalb könnte dieser Sohn, den Josephine Köhler mit aufgerissenen Augen und köstlich altkluger Penetranz ausstattet, durchaus derjenige gewesen sein, der das Feuer im Wald gelegt hat, das die titelgebende Zerstörungs-"Schneise" in die Vegetation gerissen und mehreren Bienenvölkern das Leben gekostet hat. Tatsächlich schlägt auch dem Publikum noch leichter Brandgeruch entgegen, der Imker aber bleibt gelassen und bekennt: "Ich hasse die Bienen, mein Tier ist die Milbe."

schneise 700 MarionBuehrle uBehaarte Urmenschenbodysuits im Jambendialog: Thomas Nunner, Josephine Köhler, Elke Wollmann, Stefan Willi Wang © Marion Bührle

Bei der Salzburger Uraufführung war das Händl-Klaus-Stück noch ein irritierend mehrschichtiges Chorknaben-Musiktheater. Für Nürnberg aber hat Regisseur Stefan Otteni nun vor Panorama-Wald-Tapete und umgestürzten Baumstamm eine schlichte, genüsslich sprachverjuxte Unsinns-Moritat daraus gemacht, in der – auf Wunsch des Autors – immer wieder die einzelnen Teile eines Satzes zwischen den Darstellern hin- und hergereicht werden. So klingen die Schneisenbespieler dann, als führten sie ein unentwegtes Frage- und Antwortspiel auf, auch wenn der Inspektor (Stefan Willi Wang), der misstrauisch und wenig helle durch die schwarze Plastiktütenasche des Bodens watet, gerade nicht die potentiellen Täter verhört.

Abgefeimt eloquent, frohgemut blödsinnig

Das nervt ein wenig in seiner forcierten Eigentümlichkeit, wird aber zum Glück häufig von der abstrus eleganten Jambenkunst unterbrochen, mit der die Figuren noch die banalsten Bekenntnisse veredeln, als würden sie permanent Schiller zitieren – was vor allem, wie gesagt, beim Sohnemann eine völlig entwaffnende Wirkung hat. Es herrscht sowieso ein flirrendes, ironisches Formausprobieren in diesem versengten Wald, bei dem schon mal von Elke Wollmann und Thomas Nummer ein einzelner Dialog virtuos und etwas eitel in den unterschiedlichsten Emotionsstufen durchgespielt wird, während sich die beiden unbeteiligten Darsteller genervt an den Kopf fassen.

Die Menschen, um die es hier geht, das zeigt die Ermittlung, haben jedenfalls jede Menge Dreck am Stecken, weshalb sie sich eben auch die Kleidung ausziehen, ihre animalisch behaarte Urmenschenbodysuits zeigen und schließlich gemeinsam beschließen, den Wald durch Milbenausstreuung komplett zu vernichten. Subversiv ist diese amoralische Regression, die der Natur und der Zivilisation gleichermaßen ans Bein pinkelt, weil sie sich jedem ernsthaften Erklärungsversuch mit grinsendem Achselzucken entzieht, bloß abgefeimt eloquent ist, frohgemut blödsinnig und – das ist doch mal was – demonstrativ ungewaschen.

 

Eine Schneise
von Händl Klaus
Gastspiel Staatstheater Nürnberg
Regie: Stefan Otteni; Ausstattung: Anna Neuser; Musik: Bettina Ostermeier; Dramaturgie: Diana Insel.
Mit: Elke Wollmann, Josephine Köhler, Stefan Willi Wang, Thomas Nunner.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-nuernberg.de

 

Zum Inszenierungsporträt von Dieter Stoll

 

 

Kommentare   

#1 Mannheimer 2014-05-05 18:31
Die Schneise war der Höhepunkt des ganzen Festivals. Das ist doch mal eine eigene Stimme eines Autors! Und wer das inszeniert, muß verrückt sein. Aber danke!

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