Katharsis auf dem Tanzboden

von Georg Kasch

Heidelberg, 27. April 2014. So ein Satz sitzt: "Wir kommen alle aus dem Wald", sagt Hanna Helavuori. Ähnlich steht er schon in Matti Linnavuoris Gastland-Porträt, und es ist erstaunlich, mit welcher Vehemenz die Natur durch die nach Heidelberg eingeladenen finnischen Stücke und Produktionen geistert. "Wir lesen auch für Blumen", berichtet Helavouri zur großen Erheiterung der Gäste, die sich zum Gespräch über die finnische Theaterlandschaft "Das Theater als Volkssauna?" eingefunden haben. Aber wenn das die Leiterin des Finnischen Theaterinstituts TINFO sagt und ihr niemand widerspricht – darf man dran zweifeln?

Es wurden in den letzten Tagen schon ein paar Unterschiede deutlich zwischen Finnland und Deutschland, von denen viele mit der Weite des Landes, seinen Wäldern, seiner späten Nation und Kultur zu tun haben, die sich erst im 19. Jahrhundert entwickelten. Und natürlich mit dem Wohlfahrtsstaat: Aus unserer (ohnehin luxuriösen) Perspektive erscheinen die flächendeckende Theaterversorgung, die drei Millionen verkauften Eintrittskarten im Jahr (noch ohne die vielen Amateurtheater), die 200 Uraufführungen finnischer Stücke paradiesisch.

Auf Wirkung getrimmt

Von innen gerät der Blick wesentlich kritischer: Regisseur Mikko Roiha, der in Berlin lebt und in beiden Ländern arbeitet, empfindet das Bild vom Theater als Volkssauna zwar als treffend, aber nicht nur positiv: Da sei es eng und heiß, man sei eingeschlossen, sehr unter sich. Deshalb bevorzugt er das Bild des Tanzbodens auf dem Land, der zwar überdacht, aber zu allen Seiten offen sei.

Es kommt einiges an (Selbst-)Kritik zusammen: Die Qualität der neuen Dramatik ist wegen des hohen Ausstoßes und des aktuellen Hypes oft nicht hoch genug, die Ästhetik doch sehr auf Wirkung getrimmt, die Arbeit vieler Theatermacher nicht offen genug, nach innen gerichtet, und die freie Szene wird zu wenig gefördert. Das Theater in Finnland ist ein Volkstheater, im Guten wie im Schlechten. "Unser Heiner Müller muss auf dem Feld arbeiten UND schreiben", sagt Roiha und meint damit, dass in Finnland keine Elite als Klasse existiert. Theater ist dementsprechend keine Hochkulturveranstaltung, sondern ein Gefühlsaggregator, wo die Menschen zusammen lachen und weinen – und das meint Jukka-Pekka Pajunen, Heidelberger Gastland-Scout, durchaus wörtlich, wie er eindrücklich berichtet: "Wir lieben Katharsistheater. Man geht ins Theater, um zu fühlen."

"Der Kampf ums Geld beginnt!"

Deutschland hingegen scheint gerade so eine Art Sehnsuchtsort für finnische Theatermacher zu sein. In ihrer Ausbildung seien sie jedes Jahr ins Ausland gereist, erzählt Autorin und Dramaturgin Pipsa Lonka ("These little town blues are melting away"), meistens nach Deutschland, und Berlin werde von jungen Finnen heute viel öfter angesteuert als London. Umgekehrt funktioniert das nicht so einfach – die Finnen empfinden sich schon sehr als am Rand, weniger als Teil Europas denn als Teil des Nordens. Wo man eben doch oft genug im eigenen Saft schmore. Emilia Pöyhönen, Autorin von "Jeder von uns", wirft aus dem Publikum ein: "Die meisten unserer neuen Stücke sehen schon beim Erscheinen oft genug alt aus."

Dass das Luxus-Probleme von gestern sind, kitzelte die umsichtige Moderatorin Mirka Döring (Theater der Zeit) gegen Ende aus der Runde. Es hat schon einen Grund, warum sich Wirtschaftskrise und Neoliberalismus-Kritik als roter Faden durch die ausgewählten Stücke und Produktionen ziehen. Auch in Finnland, wo das staatliche Budget in den nächsten vier Jahren merklich heruntergefahren wird, stehe die Kultur zur Debatte, gebe es unsinnige Polarisierungen (zwischen der Versorgung Alter und Kranker und der Kultur, zwischen festen Ensembles und freiem Theater), erzählt Helavuori: "Der Kampf ums Geld beginnt!" Gut möglich, dass sich die finnischen Theatermacher irgendwann nach der Gemütlichkeit der Volkssauna zurücksehnen.

 

Das Theater als Volkssauna?
Gespräch über die finnische Theaterlandschaft
Mit: Pipsa Lonka, Mikko Roiha, Hanna Helavuori und Jukka-Pekka Pajunen.
Gesprächsleitung: Mirka Döring (Theater der Zeit)

 

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