Karaoke mit dem Nietzsche-Häschen

von André Mumot

Heidelberg, 27. April 2014. Nun ziehen sie schon wieder von dannen, die Finnen, und Heidelberg schaut ihnen staunend hinterher. Viel ist in den letzten Tagen die Rede gewesen davon, wie volksnah ihr Theater sei, davon auch, dass die Finnen es besuchen, weil sie gemeinsam etwas fühlen, gemeinsam lachen oder im Idealfall gemeinsam weinen wollen. Und nun, nachdem das "Jahr des Hasen" sich seinen hingerissenen Schlussbeifall abgeholt hat, einen schwer gerührten Verzückungsjubel, kann man wohl auch endgültig nachvollziehen, was damit konkret gemeint sein könnte.

Regisseur Esa Leskinen jedenfalls hat den Roman des finnischen Autors Arto Paasilinna fürs Ryhmäteatteri Helsinki in ein Stück verwandelt, das sein Publikum schon in den ersten rasanten Minuten am Kragen packt, es emotional durchschüttelt und es um keinen Effektpreis wieder loslässt. Erzählt wird dabei so süffig und klar wie möglich die Geschichte eines depressiven Arbeitnehmers, der nach einem Autounfall zusammen mit einem sprechenden Hasen einen surreal angehauchten Roadtrip unternimmt, der durch die Untiefen finnischer Sozialprobleme bis in die Freiheit der Wildnis und in eine leicht zeitverzögerte Selbsterkenntnis hineinführt, bei der das entfremdete, moralisch korrumpierte Ich wieder Teil der Natur werden kann.Rhymateatteri JahrDesHasen1 700 Foto Johannes Wilenius uSing' weiter, Hase, Du singst so schön: Anna-Riikka Rajanen © Johannes Wilenius

Als hemmungslose Sketch-Parade beginnt diese Reise, auf der die Darsteller zu fröhlich grimassierenden Karikaturen von Hippies, Barbesitzerinnen und Irrenhausärztinnen werden, ulken, bis sich alle Theaterbalken biegen, und halsbrecherisch fix die Kostüme wechseln. Ausführlich und seelenvoll singen sie Karaoke (und zwar mit großartiger Stimmintensität), und werden, wenn sie hinter der neutralschwarzen Bühne verschwinden, geschickt per Live-Video in rasch wechselnden Szenerien und Figurenkonstellationen gezeigt.

Rührung, Slapstick und Herzblut

Alles muss in diesen narrativen Rahmen hinein, und alles kommt dicke: Die Gesellschaftskritik über die rücksichtslose Ökonomisierung ebenso wie die Coelho-artigen Lebensweisheiten über Gott und die Liebe und den Tod, die donnernde Apokalypse, der Slapstick und die Rührung. Overkill-Angst? Keine Spur. Und mag man anfangs auch noch unwillig den Kopf einziehen, so ist es irgendwann schier unmöglich, der finnischen Komplettüberwältigung etwas entgegenzuhalten. Dafür springt einem viel zu viel Herzblut und emphatische Spielenergie entgegen, und dafür singt Anna-Riikka Rajanen als Nietzsche lesender und trinkfester Mädchen-Hase viel, viel, viel zu schön. Man ist vielleicht kein Finne, aber doch auch nicht aus Stein.

Und schließlich, wenn Protagonist Robin Svartström die Bühne zu seinem hymnischen, Song-untermalten Schmachtfetzen-Happy-End verlässt und das Publikum ihn per Video durch Heidelberg laufen und in Finnland ankommen sieht, mit frisch erworbenen Hasenohren auf dem Kopf, brechen auch die letzten Dämme. Keine falsche Zurückhaltung bitte – das lassen die Finnen als Abschiedsbotschaft in Heidelberg zurück: Wenn schon gemeinsam etwas fühlen, dann richtig.

 

Das Jahr des Hasen – Jäniksen vuosi
nach dem Roman von Arto Paasilinna
Uraufführung
Bearbeitung: Esa Leskinen, Sami Keski-Vähälä, Kristian Smeds Regie: Esa Leskinen, Musik: Jussi Kärkhäinen.
Mit: Robin Svartström, Minna Suuronen, Taisto Oksanen, Anna-Riikka Rajanen, Juha Pulli.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

Ryhmäteatteri Helsinki

 

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