Wer hat die schönsten Hundeschnauzen?

von André Mumot

Heidelberg, 4. Mai 2014. Manchmal ist das Theater für die Zuschauer vielleicht dann am besten, wenn sie sich ihm entziehen können. So in etwa ist wohl die Begründung der Heidelberger Schüler zu verstehen, die zusammen mit der Stückemarkt-Jury ausgerechnet Showcase Beat Le Mots wenig aufregende Animal-Farm-Adaption mit dem JugendStückePreis und 6000,- Euro auszeichneten: Besonders faszinierend fanden sie die Black Box, jene Dunkelkammer, in die sie sich während des Stückes zurückziehen konnten, in der sie zwar nicht mehr zuhören mussten, dabei aber zugleich beobachteter Teil der Inszenierung wurden.

Mit und ohne Zeigefingerwedeleien

So scheint die irritierende, oft unmotiviert wirkende Schlaffheit der nacherzählenden Performer das Zielpublikum immerhin weniger gestört zu haben, als die überzarte und dem Mobbing-Thema kaum gerecht werdende Inszenierung des Baden Badener Homevideos oder die radikal überfordernde Publikumsübergriffigkeit in der polemisch überspitzten Anti-Schul-Eskalation der Düsseldorfer Black Box. Außerdem ist es wohl ein gutes Zeichen, dass sich die Jugendlichen gerade von letzterem Provokationsversuch nicht haben kopfscheu machen lassen und sich am Ende für eine Aufführung entscheiden haben, bei der ihnen Freiheiten zum Agieren zugestanden und sie nicht, wie bei den Düsseldorfern, zum Anschauungsmaterial der Gruppe zweckentfremdet wurden.

Erfreulich ganz gewiss, dass beim NachspielPreis die Wahl von Allein-Jurorin Barbara Behrendt nicht auf den Favoriten, Marianna Salzmanns schwärmerisch schönes, aber harmloses Schwimmen lernen in der Maxim-Gorki-Fassung gefallen ist, sondern auf die vertrackt virtuose Händl-Klaus-Groteske Eine Schneise, die bei Regisseur Stefan Otteni mit Hilfe seiner fabulösen Nürnberger Sprachkunstschauspieler (bei denen er sich sehr zurecht bedankt), ein poetisch komisches Erlebnis jenseits aller Gewohnheitsschubladen werden durfte – und das ohne irgendwelche pädagogische Zeigefingerwedeleien. (Über den dritten Aspiranten, Burkhard C. Kosminskis peinlich moralkeulige Bärfuss-Inszenierung der 20 000 Seiten verliert man ohnehin besser kein weiteres Wort.)

Kuschliges Kleinod, süffiger Realismus

Und dann sind da ja noch die wunderbaren Finnen: Pipsa Lonka, die für These Little Town Blues Are Melting Away den mit 5000,- Euro dotierten Internationalen AutorenPreis entgegennehmen darf, rührt mit echter Rührung, betont aber auch aufs Herzerfrischendste, dass sie sich nicht in Konkurrenz sehen mag zu ihren Kolleginnen und Kollegen und dass es ihr mit der Siegerurkunde und den Blumen im Arm ein wenig so vorkommt, als habe es sie auf eine Hundeshow verschlagen, bei der es doch im Grunde nur um die Frage geht, wer wohl die hübscheste Schnauze hat – was den Hunden selbst freilich herzlich egal sein kann.  

Dass sie eigentlich kein Stück, sondern eine versponnene "Bühnenerzählung" geschrieben habe, rühmt die Jury sehr zurecht, prämiert eine Verflechtung von Geschichten, die "aus der Zeit gefallen und doch sehr heutig zu sein scheinen". Ja, er ist ein zartes, kuschliges Kleinod, dieser Text über finnische Landschaften mit all den Tieren und den kauzigen Finnen darin, und man erinnert sich sehr gern an ihn.

Ebenso wie an Der Patriarch des finnischen Erfolgsautors Juha Jokela, der selbst sehr verblüfft auf dem Siegerpodium den Publikumspreis entgegennimmt (dotiert mit 2500,- Euro): "Ich wusste gar nicht, dass ich für diesen Preis überhaupt in Frage kam." Doch war man bei der stark gekürzten Lesung zugegen und hat die Euphorie der Zuhörer erlebt, ist das Ergebnis der Auszählung keine Überraschung mehr. Jokelas süffiger Realismus, sein unmittelbares Erfassen von gesellschaftlichen und familiären Komplexen und sein cleverer Dialogwitz bieten in ihrer souveränen Konventionalität und Klarheit den denkbar größten Abstand zu den Form- und Sprach- und Erzählexperimenten, die die anderen Preisträger repräsentieren. Oder um bei Pipsa Lonka  zu bleiben: Keine Hundeschnauze, die hier siegreich nach Hause geht, gleicht der anderen, und das ist in jedem Fall viel wert.

 

 

Mehr über den Autorenpreis, den Ulf Schmidt erhielt, in einem Resümee von Wolfgang Behrens.
 

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