Sehr jung und sehr glücklich

von André Mumot

29. April 2014. Man kann natürlich nicht früh genug damit anfangen, Problembewusstsein zu entwickeln. Über die Rollenklischees von Mädchen und Jungs zum Beispiel. Und selbstredend ist es wichtig, dass das Kinder- und Jugendtheater da rechtzeitig einhakt. Man erwartet es ja auch. Als also das Publikum vor der Vorstellung gebeten wird, sich nach Geschlechtern getrennt in den Musikraum der Theodor-Heuss-Realschule zu setzen und zwei Lager zu bilden, denkt man gleich: Aha. Hier wird’s ans Eingemachte gehen.

Nina und Paul 700 Alexander ViktorinAuf Tische springen und auf Stühle klettern: Stefanie Klimkait und Henry Braun © Alexander ViktorinDie große Überraschung ist, was dann in der kommenden Stunde, die sich an Zuschauer ab zehn Jahren richtet, alles nicht passiert. Erzählt wird hier nicht von Rollenbildung und Identitätsfindung und nicht einmal von Außenseitern und Ausgrenzung. Hvier spielen bloß zwei erwachsene Darsteller Kinder, Viertklässler, die sich am Tag der Zeugnisvergabe anfreunden. Wobei sich Paul (Henry Braun) darüber ärgert, dass man so schnell rot anläuft im Gesicht und es trotzdem so lange dauert, bis die Röte wieder verschwindet. Weil er sich vielleicht irgendwie ein bisschen verliebt hat in Nina (Stefanie Klimkait), die ihm den Bauernhof ihrer Eltern zeigt. Und während sie Angst hat, vor ihm kindisch zu wirken, und deshalb so tut, als würde sie nicht in ihrem mit Spielzeug vollgestellten Kinderzimmer, sondern in dem ihrer 17-jährigen Schwester leben, befreit er in einem tollkühnen Mitleidsanfall ein Bullenkalb, um es vor der Schlachtung zu retten. Aber auch das ist dann alles gar nicht so schlimm, nur ausgesprochen komisch.

Ein kleines Wiedererkennen in jedem Moment

Bei den Mülheimer Theatertagen hat Thilo Refferts Dramatisierung seines eigenen Kinderbuchs bereits den KinderStückePreis abgeräumt, aber die Charmeoffensive der Tübinger Darsteller macht es nun endgültig unwiderstehlich, zumal sie nicht nur den Witz, die Unbeholfenheit und Wahrhaftigkeit der sich zögerlich einander nähernden Kinder mit größter Selbstverständlichkeit einfangen, sondern in kurzen Momenten auch noch deren Lehrer und Eltern porträtieren, ohne dass das je onkelhaft oder peinlich werden würde.

Man kann, ganz unabhängig von der Geschlechtertrennung, an allen Tischen dieser Klasse, Schüler und Erwachsene sehr breit grinsen sehen, während Stefanie Klimkait und Henry Braun ihnen sehr nahe kommen, auf die Tische springen und über Stühle klettern – und das von Anfang bis Ende. Weil in jedem Moment ein kleines Wiedererkennen möglich ist von Gesten, Blicken, Verlegenheiten und ungekünstelter Begeisterung. Und weil die Leichtigkeit, mit der all das präsentiert wird, sehr frei und fröhlich macht und – die älteren – wohl auch ein wenig wehmütig und nostalgisch.

Es ist gut, dass das Theater die großen Probleme von Kindern und Jugendlichen verhandelt, gut und wichtig. Aber schön und wunderlich zugleich ist es auch, wenn es mit so viel Witz und Freude lediglich von einem Sommertag erzählt, und davon, wie es sich anfühlt, sehr jung und sehr glücklich zu sein.

 

Nina und Paul
von Thilo Reffert
Regie: Tanja Weidner, Kostüme: Conni Lelic, Dramaturgie: Susanne Schmitt.
Mit: Stefanie Klimkait, Henry Braun.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

Landestheater Tübingen

 

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