Expedition zur Weltmaschine

von Sophie Diesselhorst

April 2014. Der Titel von Magdalena Schrefels Stück beginnt ganz bescheiden mit einem Kleinbuchstaben. Und "die Bergung der Landschaft" erhebt auch sonst formal keinen Anspruch auf die Große Bühne. 52 Seiten? Das wird ein kurzer Abend. Nur zwei Ebenen; fünf Figuren, für die man wegen der klaren Trennung der Ebenen nicht unbedingt mehr als drei Schauspieler bräuchte. Das passt doch perfekt dazu, dass die meisten Uraufführungen nach wie vor auf den Nebenbühnen stattfinden. Und dann leben wir ja auch noch in Zeiten des Spardiktats.

"die Bergung der Landschaft" ist allerdings nicht maßgeschneidert für die kleine Wahrnehmung. Denn es ist etwas Ungeheuerliches, das dieses Stück neu formuliert: die Geschichte von der Hybris des Menschen, der sich über die Natur erhebt, indem er gegen seine raumzeitlichen Beschränkungen anrennt. Noch ungeheuerlicher wird es dadurch, dass die Autorin es in die Form eines (doppelten) Kammerspiels gegossen hat; es angesichts eines Weltunter- und wiederaufgangs nicht für nötig hält, das Weitwinkelobjektiv auszupacken.

Die psalmodierende Maschine

Damals und Heute wechseln sich ab, ihre jeweiligen Figuren begegnen sich bis zum Schluss nicht. Aber es gibt doch eine Verbindung, und die heißt "die Maschine". Ihre Erschaffung erleben wir im Damals, und im Heute entdecken wir sie wieder. Sie kann sprechen oder vielleicht eher: psalmodieren. Sie stellt im Epilog vor, was sie bedeutet: "wäre ich der Vater wär ich auch die Mutter und auch das klitzekleinste Kindelein Ich bin der Glaube und die Liebe und auch ein Etzel Hoffnung." Ja, gibt's denn das? "die Bergung der Landschaft" kreist um nicht weniger als die Glaubensfrage.

Im Damals lernen wir die Figuren Vater, Sohn und Bürgermeister kennen. Am meisten und am geschwollensten von ihnen redet der Vater, denn er ist der Schöpfer der Maschine und muss sich erklären. Er hält seine Umgebung nicht aus, denn: "Hier bei uns ist es, als läge nichts zwischen dem Auge und der Landschaft."

Allen Zivilisationsschrott, den er auftreiben kann, baut er zusammen zu der Maschine, die ihn in die "tiefe Zeit" bringen soll, in der er "endlich seine Ruhe haben" will. Das erste Atom ist eine kaputte Waschmaschine. Was dann noch dazu kommt, benennt er nicht mehr einzeln, denn "es ist das Werden eines einzigen Ganzen, das mich erfüllt."

Das "Hallo?!?" und das "Hey!" – der Einzelne und die Gemeinschaft

Der Sohn muss dem Vater dabei zugucken, wie er am Ende sich selbst in die Maschine einbaut. Und dabei, wie die Landschaft, in die hinein sein Vater ihn gezeugt hat, durch dessen Maschine zerstört wird. "'Er hat hier bei uns den Himmel einfach abgeschafft', sagen die Leute im Dorf. 'Seine Maschine hat mit ihren Lichtern die Landschaft geflutet', sagen sie, 'Er hat dem Himmel seine immerwährende Helligkeit aufgezwungen'", meta-referiert der Sohn diesen Prozess. Ihm fehlen dafür die eigenen Worte.

In ihren Gesprächen, die den Kern und Großteil des Stücks ausmachen, appelliert stets der Sohn an den Vater: Er wirft ihm vor, dass nie etwas zu essen im Haus sei. Er bittet ihn, vom Wald zu erzählen, in dem wohl die fehlende Mutter ums Leben gekommen ist (darauf gibt es nur eine kurze Anspielung). Aber der Vater sagt nur: "Der Wald, der ist der Bäume Land, in dem kein Mensch gar nichts zu suchen hat." Darauf weiß der Sohn auch nichts mehr zu sagen. Er ist das hilflose Hallo?!? beschränkter Menschlichkeit.

Der Bürgermeister hingegen ist das "Hey! Rein oder raus?!" der größeren Gemeinschaft, des Dorfs. Er wird eingeführt als einer, "der kommt, um nach dem Rechten zu sehen". Er droht dem Vater und muss unverrichteter Dinge wieder abziehen. Einen zweiten Auftritt hat er, als die Katastrophe schon im Flusse ist. Die Katastrophe ist eine (wahrscheinlich von den vom Sohn erwähnten Licht-Reflexionen der Maschine ausgelöste) Flut, und wie, als ob der Bürgermeister sich hat anstecken lassen vom Schöpferwahn des Vaters, übernimmt er nun die Verantwortung dafür – das Hochwasser, "das habe ich frei gesetzt, um uns zu befreien". Diese Selbstverständnis-Wandlung vom Ordnungshüter zum Engel der Apokalypse setzt ein Ausrufezeichen hinter die Erkenntnis: Um Schuld geht es im Damals nicht (mehr). Dafür ist es schon zu spät.

Die "tiefe Zeit" ist schnell geworden

Aber es gibt ja dann noch das Heute. In dem alles wieder auf null gestellt ist und damit auch der Sündenfall, die Schuldfrage wieder möglich sind. Die Landschaft ist noch da! Das Wasser ist wieder abgeflossen, und was funkelt im Sonnenlicht? Die Maschine! Die Schwestern Maija und Mädi aus "einer Stadt" schleichen um sie herum; ein Verbotsschild reizt dazu, es zu ignorieren.

Ihre Sprache ist eine unkomplizierte, gemacht für die schnelle Verständigung. Wie als hätten die Fluten auch die dekadente Schwurbligkeit weggespült, mit der der Vater, der Sohn und der Bürgermeister gegeneinander angeredet haben. So hat der Vater sich die "tiefe Zeit" wohl nicht vorgestellt – dass alles wieder von vorne losgeht. Von Ruhe wollen die Schwestern jedenfalls nichts wissen. Sie wollen was erleben. Und das werden sie auch.

Magdalena Schrefel ist 1984 in Wien geboren und hat Ethnologie studiert, bevor sie ans Deutsche Literaturinstitut Leipzig gegangen ist. "die Bergung der Landschaft" ist ihr zweites Bühnenstück; das erste war die gewaltexplosive Hass-Liebesgeschichte zwischen einer dementen alten Frau, ihrer Tochter, ihrem Hund und ihrem Krankenpfleger "Danke, dass ich jetzt Ihren Hunde halten darf" – auch hier erkundete Schrefel große Fragen in engem Raum. Das Stück wurde 2013 in München beim Förderpreis für deutschsprachige Dramatik zweifach ausgezeichnet.

Lose Enden

"die Bergung der Landschaft" nun widmet Schrefel den Einsiedler-Künstlern Armand Schulthess und Franz Gsellmann, der zwischen 1958 und 1981 in seinem Hof in der Oststeiermark aus über 2000 Schrott-Teilen eine riesenhafte "Weltmaschine" gebaut hat – ein rein ästhetisches Ding, das nichts als Licht- und Geräuscheffekte produziert. Wenn man "die Bergung der Landschaft" als Literarisierung der Geschichte von Gsellmann liest, dann wird hier speziell die schrecklich-schöne Ambivalenz des künstlerischen Schöpfungsdrangs verhandelt. Dazu passt, dass Schrefels Maschine sich in ihrer das Stück beschließenden Selbsterklärung als unwiderstehlicher Inspirator porträtiert: "ich werde weiterbestehen als (...) das Gedichtete und die Erzählung."

Was "die Bergung der Landschaft" als Anwurf ans Theater interessant macht, ist aber etwas anderes: nämlich der Mut des Texts, zu schweben ohne Lande-Plan. Es bleiben lose Enden. Maija und Mädi steigen in die Maschine hinein; ob/wie sie das verwandeln wird, bleibt der Vorstellung des Lesers bzw. Regisseurs bzw. Zuschauers überlassen. Auch was mit dem Sohn geworden ist, ob er dem Hochwasser ins Heute entkommen konnte oder ob er sich in die Fluten geworfen hat, um mit seinem vertrauten Damals zu ertrinken, lässt Schrefel offen. "die Bergung der Landschaft" ist eine Expedition ins Gefährliche, und so etwas macht man am besten gemeinsam. Egal, ob die Bühne groß oder klein ist.

 

Lesung von "die Bergung der Landschaft" am ersten Tag des Autorenwettbewerbs, Samstag 3. Mai, um 13 Uhr im Alten Saal.

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