Macheten in der Showküche

von Christian Rakow

Es ist eine bewährte literarische Technik, Begriffen ihre versunkene Bildlichkeit abzulauschen, um sie wieder frisch ins Gedächtnis zu rücken. "Krisenherd" wäre so ein an sich unauffälliger Begriff aus den Abendnachrichten, der in seiner sinnlichen Qualität erst aufscheint, wenn man ihn mit gleichgestimmten Wörtern eng zusammenrückt: "Krisenherde" sind die mehr oder weniger entlegenen Regionen der Welt in denen Konflikte "köcheln", in denen es "brodelt", vielleicht auch "brennt", in denen sich Menschen "abschlachten" usw.

Auch wenn dieser Begriff "Krisenherd" gar nicht ausdrücklich fällt, so steht er doch wie unsichtbar hinter dem eigenwilligen Szenario, das David Lindemann in seinem Drei-Personen-Stück "Butcher’s Block" entwirft. Ein Koch ist hier zu einer Küchenshow fürs Radio geladen, aber nicht hierzulande, sondern in einer kolonialistisch anmutenden "deutschen Enklave", irgendwo jenseits von Europa. Draußen vor dem Studio tobt die Gewalt, von Straßensperren ist die Rede, man ist im "Krisengebiet". "Deutsche und Deutschstämmige" haben sich gegen die "Südstadt" verbarrikadiert, aus der bis vor Kurzem noch das Personal für Niedriglohndienste rekrutiert wurde. Der Situation angemessen lautet das Motto für die Kochshow denn auch: "Krisenküche". Da ist der Krisenherd nicht weit.

Errungenschaft einer Extremsituation

Der Autor David Lindemann (Jahrgang 1977) ist schon länger im Geschäft, war Dramaturg an der Berliner Volksbühne, gewann 2003 mit "Koala Lumpur" den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens. Zuletzt trat er mit seiner Bankenkrisenkomödie Getränk Hoffnung bei den Autorentheatertagen des Deutschen Theaters Berlin im Jahr 2011 in Erscheinung. Auf die dortige Werkstattinszenierung für die "Lange Nacht" folgte die Uraufführung des Stückes 2012 am Wiener Burgtheater. Auch in "Getränk Hoffnung" (offenbar eine Anlehnung an die – schon von Element of Crime besungene – Berliner Ladenkette "Getränke Hoffmann") regierte das Plätzchentauschspiel der Wörter und der Dinge: Im Eingangsbild hatte es Banker, die sich nach der Finanzsystemkrise zur aggressiven Rundumbetreuung am Kunden aufmachten – auf eine, richtig, Parkbank verschlagen.

Mit seiner jetzt zum Heidelberger Stückemarkt eingeladenen Küchenstudio-Farce "Butcher‘s Block" nähert sich Lindemann mit ähnlichem Sprachspürsinn den wachsenden Zivilisationsängsten der ersten Welt unter dem Druck der Globalisierung: das Reden über die "Küchenkrise" und vice versa über die "Krisenküche" wird hier zum Prisma einer postkolonialen Konfliktlage. Burger, der Moderator der Radioshow, erfreut sich an der These seines Gastes Koch, dass hohe zivilisatorische Errungenschaften, wie eben die Kunst des Kochens in Extremsituationen entstanden sind.

Globalisierung trifft die ostwestfälische Küchenindustrie

Koch wiederum denkt gern die Opfer auf Touristenexpeditionen zum Gipfel des Mount Everests mit Erstickungsopfern auf volkstümlichen deutschen Kohlfahrten zusammen, beklagt den Untergang der ostwestfälischen Küchenindustrie und entwickelt seine breiten kulturgeschichtlichen Thesen zum Kochen aus eigenen Anschauungen der humanitären Krise in Ruanda heraus: "Es gibt immer Leute, die sagen: Menschen sterben, und ihr macht eine Küchensendung. // Es ist mir ein zentrales Anliegen, deutlich zu machen, dass das nicht im Widerspruch zueinander steht", sagt er. Dritte im Bunde ist die Regiekünstlerin und Aktivistin Sulla aus der "Südstadt", die sich gewissermaßen in die Radioshow einhackt und von dort aus ein Gegenprogramm für das "Radio freie Südstadt" startet.

Lindemanns Stück zielt nicht darauf ab, stringent zu plotten (weshalb es sich auch nicht geradlinig nacherzählen lässt). Eher entfaltet es seine Themen sprunghaft, andeutungsweise hingetupft. Im Reden über den Niedergang der ostwestfälischen Küchenindustrie werden Globalisierungsdynamiken angerissen. Das schlagende Geschichtszeichen "Ruanda" zapft am durchschnittlichen Assoziationsvorrat (Massaker, Gräuel, "Abschlachten" von Menschen, auch der Propagandasender "Freies Radio" – bekannt aus Milo Raus Reenactment-Arbeit Hate Radio – klingt in dem Szenario an), ohne dass Erfahrungen en detail ausbuchstabiert werden müssten.

Geschichtszeichen Ruanda

Sinnträchtig hantieren die Protagonisten in der Showküche nicht mit üblichen Messern, sondern mit "Macheten". Was darin entsteht, ist ein diffuses Gefühl einer bedrohten (aber auch bedrohlichen!) postkolonialen Herrschaft. Die "deutschstämmige" verbarrikadierte Minderheit in ihrem Küchen-"Radio Deutschland" sendet munter an der Realität der ausgeschlossenen Mehrheit in der "Südstadt" vorbei, während sie diese, gestützt von einer unsichtbaren Staatsgewalt, gewaltsam unterdrückt (leitmotivisch wird auf die Zerstückelung eines Menschen durch die Machthaber angespielt, Sulla besingt ihn als "Bruder", dessen Anzug-Reste der nichts ahnende Koch zur Radioshow trägt).

Lindemann liefert in all dem literarisch das Gegenprogramm zu dem, was seine Figur Burger für die Unterhaltungssendung fordert: "Kurzgebratenes. Kräftige gewürzte Anekdoten, zügig erzählt, saftig pointiert." Bei ihm gibt es demgegenüber – um im Bild zu bleiben – eher den Schmorbraten. Da köcheln die Hinweise auf kleiner Flamme, da entfaltet sich eher langsam die Suggestivität der zukunftsdüsternen Erzählung und ihre kritische Moral: Blind für die Gewaltzusammenhänge des eigenen Wohlstands produziert die Tittytainment-Maschine des Westens ihr Leerlaufprogramm.

Hochpoliertes Design-Stück

Zum Symbol des poetischen Entwurfs wird dabei der titelgebende "Butcher‘s Block", der Fleischerklotz. Ursprünglich ein Utensil für die Tierschlachtung, hat sich dieser Holzklotz zum Möbelstück gewandelt und seinen Weg in die moderne Design-Küche des 21. Jahrhundert gefunden. Ein poliertes Edelholzelement, dem man die Spuren seiner Herkunft nicht mehr ansieht. Nur der Name klingt noch entfernt nach Blut und Schlachthaus. Ganz ähnlich also wie in David Lindemanns Dramatik: Wenn man bloß richtig hinlauscht, tönen sie sehr finster, die Wörter und die Dinge.

 

Lesung von  "Butcher's Block" am ersten Tag des Autorenwettbewerbs, 3. Mai, um 16 Uhr im Alten Saal

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