Springende Synapsen

von Simone Kaempf

Heidelberg, 29. April 2014. Laura de Weck ist nicht die erste Autorin, die sich mit Sprach- und Alltagsmustern beschäftigt. Aber auf jeden Fall eine, die diese Auseinandersetzung konsequent mithilfe verknappter Dialoge führt. Fünf Jahre ist es her, dass in ihrem Debütstück "Lieblingsmenschen" die Figuren in SMS-Textlänge miteinander kommunizierten. Wenn ihr neustes Stück "Archiv des Unvollständigen" formal zwar ganz anders angelegt ist und darin auch etliche Monologe auftauchen, geht es doch um das sprachlich Fragmentarische in einer physikalisch komplexen Welt, um Situationen, in denen Sprache versagt, um Grenzsituationen wie Liebe, Tod und Geburt, in denen unser aller zurechtgelegte Satzbausteine kaum helfen, um sich verständlich zu machen.

Archiv 700 Andreas J EtterHinter Glas abgetaucht im "Archiv des Unvollständigen" © Andreas J. EtterGenau darum mühen sich die Figuren, fünf Personen, die uns in Situationen begegnen, die de Weck abstrakt betitelt – "ich sterbe", "Hier kommt noch Musik" oder "Eintreffen der Gäste". Ob es nun um einen Pfarrer geht, dem trotz jahrelanger Vorbereitung bei der ersten Trauerrede die Worte versagen, von Zwillingsschwestern die Rede ist, die ausschließlich miteinander sprechen und mit niemanden sonst, oder ein Liebespaar den Satz "Ich liebe Dich" immer neu ausprobiert, durchspielt, diskutiert: Jenseits einer festklopfbaren konkreten Handlung umkreisen die Szenen die Differenz von Denken, Sprechen, Handeln.

Glasklare Worte, perfekt getimt

Die Schwebe zwischen Abstraktion und Alltagssituationen hält Regisseur Thom Luz in seiner am Oldenburgischen Staatstheater entstandenen Inszenierung von "Archiv des Unvollständigen" auf allen Ebenen bestaunenswert durch. Die Bühne ist eine Art Tonstudio. Altertümliche Mikrofone hängen von der Decke, darunter stellen sich die Schauspieler zu Gruppen auf. Aber was für atmosphärisch glasklare Worte man dann hört! Über die Micros intim-intensiv verstärkt, so dass die Diktionen wie zum Anfassen nah scheinen. Sanft anhebende und absinkende Wortsilben summieren sich mit Alltags-Soundschnipseln, dass die Synapsen anspringen.

Und nicht nur die Akustik, auch das Bühnensetting hat etwas von geschärfter Sinneswahrnehmung: ein Klavier steht in der Ecke, gestapelte Stühle, sechs Sprecherkabinen, in denen die Schauspieler wie hinter Glas abtauchen. Schwarze Klebemarkierungen auf dem Fußboden geben verwirrende Muster vor, die sich als Wegemarkierungen entpuppen, nein, dem Zufall ist nichts überlassen. Sprechen, Pausen, Bewegungen, Musik, Szenen brechen ab, fangen neu an, alles perfekt getimt in dieser wirklich herausstechend präzise komponierten Inszenierung.

Singen als Schweizer Tradition

Als weitere Stationen wird "Archiv des Unvollständigen" in den nächsten Wochen verdientermaßen auch bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin gastieren, zudem ist die Inszenierung zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Wenn dann dort über die Vergabe des Dramatikerpreises diskutiert wird, spielt vor allem die Qualität des Stücks die entscheidende Rolle. Thom Luz' Inszenierung hat ihre eigene Klasse, zeigt beispielhaft, wie man mit einem Text absolut frei und gleichzeitig höchst klar umgehen kann. Zu guter Letzt wird auch viel gesungen, die Schweizer Tradition lässt sich deutlich erkennen, aber Luz verleiht dem eine eigene Frische, und der Gesang ist kein Selbstzweck, sondern betont die zugespitzten Momente in de Wecks Texten, in denen sich die volle Schwierigkeit offenbart, Gefühle in Gedanken und Gedanken in Sprache zu verwandeln.

 

 

Archiv des Unvollständigen
Ein Sprachmusikabend von Laura de Weck
Uraufführung
Regie: Thom Luz, Ausstattung: Lisa Maline Busse, Musik: Mathias Weibel, Licht: Arne Waldl, Dramaturgie: Jörg Vorhaben.
Mit: Sarah Bauerett, Hanna Franck, Caroline Nagel, Eike Jon Ahrens, Vincent Doddema.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

Oldenburgisches Staatstheater

 

 

Kommentare   

#1 JuwelJohannes Moch 2014-04-30 08:39
Die gestrige Aufführung war für mich ein echtes Juwel

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