Like Ice in the Sunshine

von André Mumot

Heidelberg, 29. April 2014. Da sind sie schon wieder: Die Schauspieler mit den Tiermasken auf dem Kopf. Man weiß nicht, warum, aber früher oder später scheinen sie in beinahe jeder Stückemarkt-Aufführung auf die Bühne zu treten. Diesmal kommen sie schon ganz am Anfang, tragen Fuchsgesichter und umspielen einen verträumt vor sich hin lächelnden Nixenmann, bei dem es sich eigentlich um den Komponisten Christoph Hart handelt, der für diesen Abend düster aufreibende Thrillersounds eingespielt hat und gegen Ende mit seliger Verklärung auf der Leier spielt. Er wenigstens, das sagt sein Blick, weiß genau, wer warum auf dem Grund des Flusses gelandet ist, er kennt die Geheimnisse, die sich für die Zuschauer nur bedingt klären sollen.

Brandung 700 Arno DeclairMit fiebriger Intensität: Natalia Belitski (in der Mitte) © Arno DeclairWas es zum Beispiel mit den Füchsen auf sich hat – man wird es nicht erfahren. Die gute Nachricht aber lautet: Ziemlich bald schon interessiert es einen auch nicht mehr, weil man tatsächlich wissen möchte, wer Klara auf dem Gewissen hat, wie also die eigentliche Geschichte ausgeht. Und eins steht ja wohl fest: Ein Theaterabend, der das erreicht, kann sich schon mal zufrieden auf die Schulter klopfen.

Ménage à trois

Mit "Brandung" hat Autorin Maria Milisavljevic ein aufreibend hitziges Kriminalstück geschrieben, das 2013 mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichnet wurde: Eine junge Frau ist nie zurückgekehrt von einem kurzen Abstecher zum Supermarkt, und ihre Freunde setzen alles daran, die Verschwundene wiederzufinden – oder eben das, was nach Gewalttat oder Selbstmord von ihr übrig geblieben ist. Erst mit der Zeit wird dem Zuschauer klar, dass die verzweifelten Protagonisten miteinander in einer ungesunden Ménage à trois verwickelt waren und sich selbst nun ungemütliche Fragen nach der eigenen Schuld stellen müssen.

Das ganze Arrangement ist etwas voll gepackt mit Herkunfts- und Identitätsfragen (die Figuren stammen zum großen Teil aus dem ehemaligen Jugoslawien) und verheddert sich bisweilen in allzu generellen Verlust-Traumata. Dafür aber ist Christoph Rüpings Inszenierung von bemerkenswerter Stringenz: Atemlos und unerbittlich lässt er sein Team durch den Text in Richtung Wahrheit stürmen, so dass die drei Darsteller auch schon mal panisch mit der Taschenlampe durch die Zuschauerreihen laufen und immer nur kurz und zittrig verschnaufen, bevor sie sich erbittert in die nächste Ermittlungsphase werfen.

Ohne jeden falschen Ton

Und weil der zugefrorene Fluss in der Geschichte langsam taut, um die tote Freundin freizugeben, tauen auch die vielen kleinen Butzenscheiben, die das wunderbare Bühnenbild abgeben, langsam im Scheinwerferlicht. So steigt denn auch das Wasser, durch das vor allem Natalia Belitski mit fiebriger Inbrunst watet, die den Hauptteil des Textes bestreiten muss und ohne Zweifel die treibende Kraft dieses Abends ist. An die Füchse wird man sich nicht erinnern, vielleicht auch bald schon nicht mehr an den allzu komplizierten Inhalt des Freundschafts- und Liebesthrillers. Doch wie die Belitski sich, ohne jeden falschen Ton, burschikos und zärtlich, aufgerieben und sehnsuchtsvoll, unter allergrößter Spannung und schließlich völlig desillusioniert und geschlagen weiter und weiter vorankämpft, während mit dem Eis Sicherheit und Seelenfrieden unwiderruflich dahinschmelzen – das wird sich schwer vergessen lassen.

 

Brandung
von Maria Milisavljevic
Uraufführung
Regie: Christopher Rüping, Bühne: Jonathan Mertz, Musik: Christoph Hart, Dramaturgie: Meike Schmitz. Mit: Natalia Belitski, Benjamin Lillie, Barbara Heynen, Christoph Hart.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

Deutsches Theater Berlin in Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen

 

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