Schmerzen in der Endlosschleife

von André Mumot

Heidelberg, 30. April 2014. Eigentlich umkreist Wolfram Hölls hauchig dahingeraunte Elegie ein einziges todtraurigen Bild: Das eines Vaters nämlich, der alte Schmalfilme seiner Frau, die nicht mehr da ist, die vielleicht tot ist, an die Wand des Plattenbaus von gegenüber projiziert, Nacht für Nacht. Der auch noch aktuelle Aufnahmen ihrer beiden Söhne dazwischenschneidet, als könne er so die zerbrochene Familie wieder flicken, worauf die beiden Jungen mit Trauer, Panik und Überforderung reagieren.

und dann 03 700 rolf arnold uTraurige Pinocchios im Gegenlicht: "Und dann" © Rolf Arnold

Insofern ist es nur konsequent, dass in Claudia Bauers Leipziger Inszenierung Videoleinwände über der verwinkelten Bühnenwohnung angebracht sind, auf denen meistens einer der Darsteller mit blutunterlaufenden Augen Wortwiederholungen wispert, Satzanfänge, kindliche Neologismen, die schreckhaft zurückführen in die unmittelbare, unverständliche Nachwendezeit, in der sich die Nicht-Handlung zuträgt, in der aus der Panzerparadenstraße eine Straße voller Westwagen wird und in der alles, aber auch wirklich alles, sehr, sehr schrecklich ist für die hyperpoetisch stammelnden Kindererzähler.

Bedrückende Choreographien der grauen Enge

Große Puppenköpfe tragen die Darsteller, wenn sie vorn Papierschnipselsuppe essen, wenn sie mit Autos spielen oder sich zweidimensionale Pappflaschen an die Hälse setzen: Es sind traurig verzerrte Wiedergänger des DDR-Kinderfernsehens, wie es scheint, niedliche und vollkommen verlorene Verwandte des Ost-Sandmännchens, Lolek- und Bolek-Brüder mit verlängerten Nasen und in kurzen Hosen. Einmal tritt sogar ein riesiges Pittiplatsch-Monster auf in dieser düster dräuenden Alptraumwelt, in der aus der Lüftungsablage apokalyptischer Staub dringt und die erfüllt ist von streng gesampelten spätromantischen Sinfonieklängen.

Unmöglich zu leugnen, wie intensiv die spukhafte Bilderwelt ist, die hier für Hölls „Und dann“ gefunden wurde, wie effektvoll die bedrückenden Choreographien der grauen Enge und der luftlosen Ausweglosigkeit, die einen Text illustrieren, den mancher hymnisch feiert für seine artifizielle Sprachzergliederung, der auch 2012 in Heidelberg den Nachwuchspreis gewonnen hat, den man aber durchaus prätentiös und kunstkokett finden kann. Claudia Bauer jedenfalls gibt siebzig Minuten lang Tragödienvollgas und taucht das stockende Ausstoßen der Erinnerungsfetzen obendrein in eine groteske Feierlichkeitsszenerie. Schlimmer geht immer, scheint jeder Moment zu sagen, in denen die Puppenköpfe ihre Schmerzen in der Endlosschleife erleiden. So waidwund schwer, so unheimlich und furchtbar ist diese Muppet Show, und so begeistert sind Text und Wort von der eigenen Expressivität, dass am Ende, als das letzte Projektionslicht schließlich verlischt, wenig bleibt vom unerträglichen Verlust. Hauptsächlich Kunst.

 

Und dann
von Wolfram Höll
Gastspiel Schauspiel Leipzig
Regie: Claudia Bauer, Bühne und Kostüm: Andreas Auerbach, Musik: Peer Baierlein, Licht: Veit-Rüdiger Griess, Dramaturgie: Esther Holland-Merten, Matthias Huber.
Mit: Wenzel Banneyer, Daniela Keckeis, Heiner Kock, Markus Lerch.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-leipzig.de

 

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